17. Juli 1906
Unter Glockengeläute ziehen hunderte Gäste vom Rathaus zur kleinen evangelischen Christuskirche. Sie wurde nach Plänen von Geheimrat Ludwig von Tiedemann (1841-1908) errichtet, einem Oberstdorfer Stammgast.
Die Gäste stammen aus ganz Deutschland: Dabei sind u.a. der preußische Kriegsminister Heinrich von Goßler und der württembergische Hofprediger Konrad Hoffmann. Persönlichkeiten wie der Prinzregent Luitpold von Bayern lassen schriftlich Grüße übermitteln.
Das Äußere der Kirche zieren farbige Ornamente. Im Inneren ist sie vom Kunstmaler Max Kutschmann, Berlin, mit farbigen Medaillons und Figuren geschmückt. Den Altar stiftet B. Reichsrat Freiherr von Cramer-Klett.
Den Festzug eröffnet Frl. Keibl mit dem Kirchenschlüssel. Ihr Vater, der Gendarmerie-Kommandant Josef Keibl schreibt stolz in sein Tagebuch: „Meine Margret hat den Schlüssel auf einem Samtkissen getragen!”
Vor der Kirchentür wird der Schlüssel von einem zum andern weitergegeben: von Margret zu Geheimrat von Tiedemann, zu Bezirksamtmann Schmidt, zu Herrn Oberkonsistorialrat Schnetzer zu Pfarrer Bullemer. Der öffnet die Tür und in wenigen Minuten ist die Kirche überfüllt. Die 220 Sitzplätze in der Kirche reichen bei weitem nicht aus. Das erstaunt, denn es gibt nur 50 ortsansässige Evangelische.
Oberstdorf hat jetzt zwar eine evangelische Kirche, aber noch keinen Pfarrer. Oberstdorf ist ein eigener Sprengel der Immenstädter Tochtergemeinde Sonthofen und wird von dort aus betreut. Selbstständige Pfarrei wird Oberstdorf erst am 24. November 1941.
1902
Weil die Kirchgeher im Winter doch sehr unter der Kälte leiden, schafft der Kirchbauverein Abhilfe: „Jetzt kann durch eine Art Zelt in der Kirche ein kleinerer abgeschlossener Raum um Altar und Kanzel und Ofen her geschaffen werden, wo eine genügend warme Temperatur sich entwickelt. Das Zelt wird, sobald der Winter vorbei ist, entfernt und für den kommenden Winter aufgehoben.“
1916
In der Christuskirche brennt an Heiligabend zum ersten Mal elektrisches Licht. Die katholische Pfarrkirche war bereits im Januar 1899 erleuchtet.
18. Juli 1917
Sieben Glocken aus den katholischen Kapellen und der Pfarrkirche werden eingeholt, abtransportiert und zu Kriegszwecken eingeschmolzen. Die evangelischen Glocken werden noch auf dem Kirchturm zerschlagen und heruntergeschafft. Nur Isidor bleibt.
21. März 1926
Die beiden größten Glocken (900kg und 450kg) wurden zu Rüstungszwecken im ersten Weltkrieg eingeschmolzen. Nur die kleine Isidorglocke durfte weiter läuten. Am Sonntag Judica werden zwei neue Glocken der Fa. Ulrich, Kempten, geweiht. Die große mit der Inschrift „Jesus Christus, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“, die kleinere mit der Inschrift „Herr, mach uns frei“.
1930
Als Königin Wilhelmina der Niederlande und Kronprinzessin Juliane während ihres Aufenthalts in Oberstdorf den Gottesdienst der Christuskirche besuchen, finden sie eine Baustelle vor. Es werden Emporen eingebaut, um die Flut der Gäste aufzunehmen. Die Vollendung der Christuskirche ist der Königin spontan eine Gabe von 1000 Mark wert.
Am 30. Mai 1930 kann Pfarrer Friedrich Westermayer die Christuskirche nach ihrer Renovierung der Gemeinde übergeben. Damaligen Besuchern zufolge erscheint die Kirche „ganz wider Erwarten das Kirchlein größer und freundlicher“.
4. Juli 1954
Die Christuskirche erweist sich auf Dauer als zu klein, um gerade in der Hauptsaison den vielen Gästen Platz zu bieten. Eine grundlegende Erneuerung der Christuskirche nach Plänen des renommierten Münchener Kirchenarchitekten Gustav Gsaenger steht an.
Der Grundstein zum Bau des Gemeindesaales und Pfarrhauses (westl. und südl. der Kirche) wird gelegt. Fünf Wochen später wird die bisherige Altarwand abgebrochen. Am 25.Oktober kann Pfarrer Gabriel ins neue Pfarrhaus einziehen. Die Gottesdienste finden weiterhin in der Volksschule statt.
Leider wird der Bau eines neuen Turms aus Kostengründen von der Landeskirche abgelehnt, so dass neben dem modernen Bau noch der alte kurze Turm mit der Zwiebelhaube stehen bleibt.
17. Juli 1955
49 Jahre nach der Kirchweih, werden in der erweiterten Kirche ein neuer Altar, Kanzel Taufstein und Orgel geweiht. Das Kirchenschiff ist nach Süden verlängert worden. Es bietet jetzt 80 Sitzplätze mehr. Im Westen sind zwei Gemeindesäle angebaut (170 Sitzplätze) und nach Süden zu einem Pfarrhaus verlängert.
Aus Mangel an Mitteln wird die geplante Anschaffung des Emporengestühls vorläufig zurückgestellt. Weiters fehlen die Turmerhöhung, eine Sakristeieinrichtung und die Gestaltung der Altarwand.
20. Oktober 1957
Die Bauarbeiten zur Neugestaltung des Kirchturms sind abgeschlossen. Die Gemeinde feiert ein Turmfest und weiht vier neue Glocken.
Im „Gemeindegruß“ wird angekündigt: Nun ist es soweit. Am Freitag, den 4. Oktober sollen die neuen Glocken – mit zwei Lastwagen von Stuttgart kommend – Nachmittag um 3:00 Uhr nach alter Sitte am Eingang des Ortes in Empfang genommen werden und unter dem Glockengeläute der katholischen Pfarrkirche feierlich im Zug eingeholt werden. Vor der Kirche findet eine schlichte Feier statt. Am Sonntag, den 20. Oktober werden die Glocken nach ihrer Montage in die zwei Glockenstuben des neuen Kirchturmes durch unseren neuen Herrn Dekan Dr. Breit, der auch die Festpredigt übernommen hat, geweiht werden. Dabei wiederholt der Kirchenchor mit Instrumenten und Orgel die Buxtehude–Kantate „Jesu meine Freude“. Nach einer neuen Läuteordnung werden die Glocken dann täglich mittels einer elektrischen Anlage geläutet werden. „Friede sei ihr erst Geläute.“
Angela Gsaenger, die damals 36jährige Tochter des Architekten Gustav Gsaenger, stellt Mitte der 1960 er Jahre das Altargemälde fertig. Sie hat sich von einem Christusbild inspirieren lassen, wie es in der Offenbarung des Johannes beschrieben ist.
5. Januar 1975
Nach zehn Monaten Bauzeit wird die neue Orgel des Orgelbauers Ekkehard Simon (Landshut) eingeweiht. Das neue Instrument hat 1964 Pfeifen (die größte 280cm, 1cm die kleinste) in 30 Registern. Es gelingt dem Orgelbauer, den Klangkörper in den asymmetrischen Bau zu integrieren. Der bekannte Organist Professor Friedrich Högner aus München ist voll des Lobes: „Wie er (Simon) damit fertig wurde, qualifiziert ihn als einen der besten Orgelbaumeister, die wir in Bayern besitzen. So ist die Orgel der Christuskirche in Oberstdorf eine seiner schönsten und durchdachtesten Orgeln geworden.“ Die Gesamtkosten betragen 168.463 DM. Der Orgelprospekt wird vom Architekten der Christuskirche, Gustav Gsaenger, entworfen.
11. April 1993
Beim Gottesdienst in der Osternacht brennen am Taufstein zum ersten Mal Kerzen zur Tauferinnerung. Der Aufsatz wurde nach Plänen von Walter Kalot gefertigt.
Der 1906 in Glatz an der Neiße geborene Künstler Walter Kalot gestaltet als sein letztes Lebenswerk die Christusfigur an der Ostseite der Christuskirche. Kalot gestaltet mit dem gütig kraftvollen Christus, der die Christuskirche auf Händen trägt, einen Gegenentwurf zum strengen Christus an der Altarwand. Die Christusfigur trägt den Kalotschen Schnurrbart. Ein kleines Detail, das darauf hinweist, wie sehr sich der Künstler mit Christus identifiziert.
5. Juli 2015
Bei 38° Grad wird das neue Gemeindehaus von Regionalbischof Michael Grabow aus Augsburg feierlich eingeweiht. Nach zehn Jahren Planung und einem Jahr Bauzeit hat die Kirchengemeinde ein Haus bekommen, das sichtbar macht, wie sie sich versteht: offen und einladend.
August 2017
Die Christuskirche wird außen saniert und bekommt wieder den Anstrich, der bei der Erweiterung in den 1950er Jahren gewählt worden war. Spektakulär ist die Anbringung des Gerüsts zur Sanierung von Turmkugel und Wetterfahne.
Ostern 2020
Die Corona-Pandemie lässt keine Gottesdienste zu. Dennoch ist die Kirche gut gefüllt. Einheimische und Gäste haben Bilder von sich geschickt. Sie stehen stellvertretend für die vielen Menschen, die sich mit der Christuskirche und dem Ort Oberstdorf verbunden fühlen.
Für das Jahr 2025 ist eine grundlegende Innensanierung und Neugestaltung der Christuskirche geplant.